Andacht zum 21. Januar 2024

Wort zum Sonntag 

für den 21. Januar 2024,

3. Sonntag nach Epiphanias

„Menschliche Größe ist Herzensgröße“, sagt der dänische Philosoph Sören Kierkegaard (1813–1855). Sie zeigt sich als innere Eigenschaft, die mitten im alltäglichen Tun immer wieder zum „Vorschein“ kommt und allein in der Lage ist, die ganze Welt in ein anderes Licht zu rücken. 

Sehr eindrücklich beschreibt der russische Schriftsteller Alexander Solschenizyn (1918–2008) diese Herzensgröße. Bei ihm trägt sie den Namen Jelisaweta Anatoljewna. Das ist eine unscheinbare Frau, noch keine fünfzig Jahre alt. In ihr Gesicht haben sich tiefe Falten gegraben - die Handschrift jahrelanger Entbehrung und durchgestandener Qualen. Sie lebt in der Verbannung. Weshalb, weiß niemand. Ihren Mann hat man in ein Lager verschleppt. Ihre Tochter ist auf dem Transport gestorben. Sie bleibt verurteilt, ihr weiteres Leben als Putzfrau auf der „Krebsstation“ einer Klinik irgendwo in Asien zu verbringen. Tag für Tag kriecht sie unter die Betten, um den Boden zu reinigen. Das Wischwasser hat ihre Hände ausgelaugt. Mit einem Tuch reibt sie die Wände ab. Sie leert die Spucknäpfe und wäscht sie blitzend sauber. Den hoffnungslos Kranken bringt sie Gläser mit Etiketten - die tägliche Medizin. All das, was einer Schwester zu schwer, zu unhandlich oder zu unsauber ist, schafft sie herbei und trägt es wieder fort. Und je selbstverständlicher sie ihre Arbeit verrichtet, desto weniger wird sie auf der Station beachtet.

Der Dichter sagt dazu: „Schon zweitausend Jahre lang Augen zu haben bedeutet noch lange nicht, sehen zu können.“ 

Wahre menschliche Größe hält sich bedeckt. Daher können wir niemals wissen, wie viel es davon gibt. Sicher ist, dass sie unsere Welt weit mehr erfüllt, als wir glauben.

Matthias Storck ist Pfarrer i. R.