Andacht zum 23. Juli 2023

Wenn man einem Menschen etwas Gutes wünschen möchte, werden Worte aus Irland immer beliebter, irische Segenswünsche. Dir Wünsche sind vom Leben gezeichnet und sprechen eine klare handfeste Sprache. Einen meiner Lieblingswünsche möchte ich Ihnen heute mit ins Wochenende geben: „Mögest du dir die Zeit nehmen, die stillen Wunder zu feiern, die in der lauten Welt keine Bewunderer haben.“

Ich denke oft an eine Begegnung vor vielen Jahren in einem Krankenhaus, in dem ich als Pfarrer regelmäßig Besuche machte. Auf einer Station passierte ich im Aufenthaltsbereich einen Mann Mitte vierzig, querschnittsgelähmt vom Hals abwärts. Aber den Kopf konnte er bewegen. Er saß am Fenster und schaute heraus. Und wenn er einen Gast bemerkte, drehte er sich zu ihm und schaute er ihn freundlich an. An einem Nachmittag setze ich mich einen Moment zu ihm, als ich auf dem Weg zu einer Patientin aus meiner Gemeinde war.

Der Mann machte seine Situation mit keinem Wort zum Thema. Aber er schilderte mir jedes Detail, das er mit seinen Blicken wahrnahm, wenn er am Fenster die Natur betrachtete. Da war der Maulwurfshügel, den er hatte wachsen sehen, die Blüten, die gestern noch gar nicht aufgegangen waren. In dem kleinen Teich des Krankenhausgartens konnte er die Fische erkennen, die man nur mit sehr angestrengtem Blick und viel Aufmerksamkeit wahrnehmen konnte. Und dann blickte er zu mir und sagte mit einem glücksseligen Lächeln: „Hat der liebe Gott das nicht schön gemacht?“

Für mich war dies eine Lehrstunde, die ich nie vergessen werde. Wenn ein Mensch, der in seinem Leben so massiv eingeschränkt ist, einem die Wunder Gottes nahebringt, dann muss diese Welt wahrhaft schön sein, weil Gott sie schön gemacht hat.

Eine Woche später war der Mann nicht mehr da. Aber ich bin überzeugt, dass er noch viele Wunder entdecken durfte, und viele Menschen damit anstecken konnte.

Lassen wir uns anstecken von Gottes Schöpfung, in der alles so schön zusammenpasst. Wenn wir sie lieben lernen, werden wir sie auch schützen und bewahren. So wünsche ich Ihnen für dieses Wochenende mit dem Segenswort aus Irland: „Mögest du dir die Zeit nehmen, die stillen Wunder zu feiern, die in der lauten Welt keine Bewunderer haben.“


Rüdiger Schwulst ist Pfarrer in Versmold