Andacht zum 25. Juni 2023

3.53 Uhr. Die erste, etwas schiefe Vogelstimme dieser Mittjuninacht! Auf meiner Luftmatratze liegt noch die Gartenstuhlauflage. Wir sind ja keine 25 mehr. Der Schlafsack locker auf mir, ein Pullover als Kissen unter meinem Kopf. Geweckt hatte mich nicht der zarte Gesang, den ich liebe, sondern das Hupen der getunten Autos, die durch Versmolds Innenstadt jagen, als gäbe es kein Morgen. Die Vögel hat hoffentlich nur ihre innere Uhr erwachen lassen.

„Die Füchse haben ihren Bau und die Vögel haben ihr Nest. Aber der Menschensohn hat nirgends eine Stelle, wo er seinen Kopf hinlegen kann“, heißt es im Evangelium (Mt 8,20).

Lust am Mikroabenteuer! Jedes Frühjahr zelten meine Kinder und ich im Garten. Er liegt ein paar Meter entfernt von unserem Haus, der Eingang versteckt und verschlossen. Heute bin ich allein, eine kleine Überwindung. Denn letzten Sonntag, als ich morgens hierher kam, war der Zelteingang nicht ganz geschlossen. Ich wundere mich und bemerke - da liegt jemand darin! Vor Schreck schreie ich spitz auf! Dann packt mich die Wut, ich reiße den Reißverschluss auf: „Was machen Sie in meinem Zelt?“ Der Mann rollt sich halb hoch, ein Schwall von Alkohol- und Schweißgeruch stieg in meine Nase. „Das ist mein Zelt, mein Schlafsack! Was fällt Ihnen ein?“ „Oh, Entschuldigung,“ verstehe ich, „Gestern getrunken, kein Schlüssel, tut mir leid…“ Trotz meines Schrecks und meiner Wut bin ich plötzlich gerührt. Osteuropäischer Akzent, ein junger Mann, er schämt sich vor mir. Schlafsack gewaschen, Zelt gelüftet, niemandem etwas erzählt.

Unter dem Klangteppich dieses Morgens wandern meine Gedanken zu den Menschen, die in Zelten wohnen, weil sie fliehen mussten oder weil ihr Haus eingestürzt ist. In Nordsyrien, der Türkei, in den Camps dieser Welt. „…der Menschensohn hat nirgends eine Stelle, wo er seinen Kopf hinlegen kann.“

In einer Übersprungshandlung hatte ich dem jungen Mann plötzlich die Hand hingehalten: „Ich bin Anja!“ - Er schaute mich ruhig an, schlug ein und verriet mir seinen Namen.

 

Anja Keppler ist Pfarrerin in Versmold