Andacht zum 22. Mai 2022

Wort zum Sonntag, 22.05.2022

 

Eine junge Frau verlor die Kontrolle über ihr Auto und knallte gegen einen Baum. Der Aufprall war in einem nahegelegenen Haus deutlich zu hören. 

Der Student im Erdgeschoss lief ans Fenster. Er war erstaunt, wie demoliert das Auto aussah. Er holte sein Handy und machte ein paar Fotos, um sie bei Instagram zu posten. Eine Mutter im ersten Stock war mit ihren drei Kindern allein zu Hause. Zwei Kinder sprangen auf und rannten zum Fenster: „Mama, guck schnell! Da ist ein Unfall passiert!“ Aber die Mutter antwortete: „Setzt euch hin, Kinder! Es ist nicht gut, sich mit so etwas zu belasten! Wir können nur hoffen, dass Papa nicht mal so ein Unfall passiert!“

Ein junges Paar in der Nachbarwohnung saß gerade am Mittagstisch. Der Mann ging zum Fenster und sagte: „Das ist eine ganz normale Kurve! Wann lernen die Leute endlich, ordentlich zu fahren?“ Die Frau fragte: „Können wir irgendwie helfen?“ Aber ihr Mann sagte: „Das ist nicht unsere Aufgabe! Dafür gibt es Polizei, Feuerwehr und Krankenwagen!“ Und er setzte sich wieder hin.

Die ältere Dame unterm Dach griff zum Telefon. Doch dann legte sie schnell wieder auf. Sie dachte sich: „Es heißt ja immer, dass ich nur am Fenster sitze und gaffe. Wenn ich jetzt diejenige bin, die anruft, wird das Gerücht ja nur bestätigt.“

Eine halbe Stunde später starb die junge Frau, weil keine Hilfe gekommen war.

 

In dem bekannten Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lukas 10, 25-37) erzählt Jesus eine ganz ähnliche Geschichte und fordert uns auf, unsere Komfortzone zu verlassen und Verantwortung für Menschen zu übernehmen, die unsere Hilfe brauchen. Eine Familie nimmt mehrere Geflüchtete aus der Ukraine auf und nimmt dadurch manche persönliche Einschränkung in Kauf. Eine Dame in unserer Gemeinde geht in den Ruhestand und sagt: „Ich werde meine gewonnene Zeit nutzen, um für andere da zu sein!“ Und sie engagiert sich für Menschen am Rande unserer Gesellschaft. Ich erlebe Menschen, die sagen: „Ich bin zuständig!“ Wenn wir so leben, können wir das Gesicht der Welt verändern. Und diese Veränderung hat unsere Welt nötig. Gerade jetzt.

 

Bernd Eimterbäumer ist Pfarrer in Halle