Andacht zum 21. März 2021

Wort zum Sonntag Judika, den 21. März 2021

Gott sei nicht zur Welt gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen, lese ich im Wochenspruch (Matthäus 20, 28). Ausgerechnet eine Schürze fällt mir ein. In den Staatlichen Museen in Berlin sprang sie mir von dem Gemälde eines namenlosen oberrheinischen Meisters (ca. 1475) direkt ins Herz. In der Mitte des Bildes kniet ein Mann mit hochgeschobenen Ärmeln und einer leuchtend weißen Schürze. Gleich wird er nach der Waschschüssel greifen und zwölf erschöpften Handwerkern und Fischern behutsam die Füße waschen. Der erste zieht erschrocken seine nackten Füße unter die Bank, so unangemessen scheint ihm die Vorstellung, sie von Gott waschen zu lassen. Denn der da in der Schürze vor ihm kniet, ist der Mensch gewordene Gott. Die Hände, in denen an diesem Abend die müden Füße liegen, haben Kinder gesegnet, Kranke geheilt, Blinde zum Sehen und Lahme zum Gehen gebracht. 

Die Schürze sehe ich gelegentlich leuchten. In Altenheimen. Oder auf Intensivstationen. Besonders eindrücklich in der „Krebsstation“, dem Roman des russischen Schriftstellers Alexander Solschenizyn (1918–2008). Dort trägt Jelisaweta Anatoljewna Gottes Schürze. Eine unscheinbare Frau, noch keine fünfzig. In ihr Gesicht haben sich Falten gegraben - wie eine Handschrift durchgestandener Qualen. Seit Jahren lebt sie in der Verbannung. Weshalb, weiß niemand. Ihr Mann - verschleppt. Ihre Tochter - gestorben auf dem Weg ins Lager. Sie selbst wird als Putz-frau auf der „Krebsstation“ ihr Leben beschließen. Täglich kriecht sie unter die Betten, um den Boden zu wischen. Mit einem Tuch reibt sie die Wände ab. Sie leert die Spucknäpfe und putzt sie blitzsauber. All das, was anderen zu schwer, zu unhandlich oder zu unsauber ist, schafft sie herbei und trägt es wieder fort. Und je selbstverständlicher sie ihre Arbeit verrichtet, desto weniger wird sie beachtet  - mit oder ohne Schürze. 

Der Dichter bemerkt dazu: Schon zweitausend Jahre lang Augen zu haben bedeutet noch lange nicht, sehen zu können. 

Sehen ist die große Kunst des Dienens.

Matthias Storck ist Pfarrer in der Ev.-Luth. Kirchengemeinde Steinhagen