Andacht vom 21. Juli 2019

Wort zum 5. Sonntag nach Trinitatis, 21. Juli 2019

Neulich hörte ich eine kleine Geschichte, die mich sehr nachdenklich machte: "Ein Mann ging zum Psychiater: 'Sie müssen mir helfen! Ich bin völlig verzweifelt. Schon wenn ich morgens aufstehe, bin ich unglücklich. Ich sehe alles, was auf mich zukommt und mir wird gleich klar, dass ich das alles gar nicht schaffe. Ich bin völlig deprimiert. Bitte helfen Sie mir!“ Der Psychiater sagte: „Ja, das Problem kenne ich! So etwas haben mir schon viele Patienten erzählt. Wissen Sie, was ich Ihnen empfehle? Gehen Sie einfach mal in den Zirkus hier in der Stadt. Schauen Sie sich den Clown an und lachen Sie mal wieder aus vollem Herzen. Das wird Ihnen gut tun. Ich versichere Ihnen, Sie werden ein ganz anderer Mensch sein.“ Der Mann sagte: „Wissen Sie, Herr Doktor, der Clown im Zirkus – das bin ich selbst!“

Der deprimierte Mann spielt seine Rolle. Die Rolle des Clowns. Er spielt sie gut. Anderen hat er schon oft damit geholfen. Aber sich selbst kann er nicht helfen. Er spielt nur seine Rolle. In ihm drin sieht es ganz anders aus. Wir kennen das: Bei einem Vorstellungsgespräch versuchen wir, genau derjenige zu sein, den die Firma braucht. Auf dem Schulhof möchten wir zu den Coolen gehören und verstellen uns. Wenn etwas schiefgelaufen ist, schlüpfen wir gern in die Rolle des Unwissenden. Es ist anstrengend, Rollen zu spielen. Vielen von uns geht es wie dem Clown. Wir sind müde und erschöpft, manchmal sogar deprimiert.

Wo können wir sein, wie wir sind? Wo müssen wir uns nicht verstellen? Es gibt nur einen, bei dem wir uns richtig fallen lassen können, und das ist Gott. Im 139. Psalm heißt es: "Herr, du durchschaust mich. Du kennst mich durch und durch. Ob ich sitze oder stehe, du weißt es. Du kennst meine Gedanken von ferne." Vor Gott können wir so sein, wie wir wirklich sind. Wir müssen uns nicht verstellen. Er kennt uns sowieso.

Ob mir das Angst macht? Nein. Es befreit. Ich kann sagen: "Gott, hier bin ich wieder. Du kennst mich ja. Du weißt, was ich heute mitbringe an Sorgen, Ängsten, Schuld, Unsicherheit, aber auch an Freude. Du weißt, welche Lasten ich trage und nun auf deine Schultern legen möchte. Ich komme mit all dem zu dir.“ Ich lege alle meine Rollen ab. Ich trete vor Gott, unvollkommen und leer wie ich bin. Ich spüre die Erleichterung. Gott lädt uns immer wieder ein, in seine Nähe zu kommen. Ich möchte Ihnen Mut machen, die Einladung anzunehmen.

von Bernd Eimterbäumer, Pfarrer in der Evangelischen Kirchengemeinde Halle